Berufungsurteil des Kammergerichts Berlin: Geschädigter Verbraucher setzt sich beim Widerrufsrecht für Online-Coaching-Programme durch!
Das Kammergericht Berlin hat in einem wegweisenden Urteil die Verbraucherstellung in Bezug auf ein teures Online-Coaching-Programm bestätigt. Trotz des energischen Widerspruchs seitens der Anbieterin wurde der Klägerin das Recht auf Widerruf zugesprochen. Diese Entscheidung wirft wichtige Fragen zur Verbrauchersicherheit bei digitalen Dienstleistungen sowie zur Transparenz der Vertragsbedingungen auf.
In einem Fall, der weitreichende Auswirkungen auf die Online-Coaching-Branche haben könnte, hat das Kammergericht Berlin mit Urteil vom 27. Januar 2025 (Az.: 20 U 86/24 zu Landgericht Berlin II, Az.: 2 O 381/23) einer Teilnehmerin eines hochpreisigen Coaching-Programms vollumfänglich Recht gegeben. Der Anbieterin wurde vorgeworfen, weder eine Widerrufsbelehrung zur Verfügung gestellt noch die gesetzlichen Anforderungen für solche Programme erfüllt zu haben. Das Urteil unterstreicht, wie eng der Schutz von Verbrauchern mit der Erfüllung von Informationspflichten und der Gewährleistung von Transparenz verknüpft ist.
Die Klägerin, eine langjährige Erzieherin, hatte sich in ihrer Freizeit für ein Online-Coaching-Programm angemeldet, das ihr helfen sollte, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Trotz des Vertragsabschlusses über eine beträchtliche Summe von 27.000 Euro waren die Vertragsbedingungen unklar, da keine schriftlichen Unterlagen vorgelegt wurden. Zusätzlich versäumte es die Anbieterin, die gesetzlich vorgeschriebene Widerrufsbelehrung zu erteilen und hatte keine Zulassung für Fernlehrgänge gemäß dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Im Verlauf des Programms stellte die Klägerin fest, dass das versprochene Ziel, sie als Unternehmerin zu etablieren, weder realistisch unterstützt noch ausreichend durch fachliche Betreuung untermauert wurde. Daraufhin widerrief sie den Vertrag mit rechtlicher Unterstützung und verlangte die Rückzahlung des vollen Honorars. Die Anbieterin wendete ein, dass die Klägerin keine Verbraucherin im rechtlichen Sinne sei, da das Coaching auf ihre berufliche Selbstständigkeit abgezielt habe.
„Das Kammergericht stellte sich entschieden gegen diese Ansicht und verdeutlichte, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht in der Lage war, eine wohlüberlegte Entscheidung hinsichtlich der Gründung eines Unternehmens zu treffen. Vielmehr befand sich das Rechtsgeschäft noch in der Vorbereitungsphase einer möglichen Existenzgründung und war daher dem privaten Bereich zuzuordnen. Die Richterin hob hervor, dass die Klägerin erst im Rahmen des Coachings erste grundlegende Überlegungen für ein potenzielles Geschäftsmodell anstellte, was auf eine vorbereitende Phase für eine Entscheidung hinweist und nicht auf eine bereits laufende unternehmerische Tätigkeit”. Dies erklärt Dr. Gerrit W. Hartung, Rechtsanwalt aus Mönchengladbach und Vertreter der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (www.hartung-rechtsanwaelte.de). Die Kanzlei hat sich auf Anleger- und Verbraucherschutz spezialisiert und ist insbesondere auf die Durchsetzung von Ansprüchen geschädigter Verbraucher gegen Online-Coaching-Anbieter sowie Anbieter von Online-Sportwetten und Online-Casinos fokussiert. Sie hat das erfolgreiche Urteil vor dem Kammergericht erwirkt.
Ein zentraler Aspekt war auch die Frage, ob die Widerrufserklärung der Klägerin, die in Form einer anwaltlichen Anfechtungserklärung abgegeben wurde, wirksam war. Das Gericht entschied, dass eine solche Erklärung als Widerruf zu werten ist, wenn der Verbraucher eindeutig zu erkennen gibt, dass er den Vertrag nicht akzeptieren möchte. Diese Auslegung stärkt den Verbraucherschutz in Fällen, in denen Anbieter darauf spekulieren, dass Widerrufsbekundungen nicht ausreichend präzise sind. Das Urteil verdeutlicht zudem, wie wichtig eine korrekte Widerrufsbelehrung für den Beginn der Widerrufsfrist ist. Fehlt eine solche Belehrung, behält die Klägerin ihr Widerrufsrecht, selbst wenn seit dem Vertragsschluss bereits mehr als ein Jahr vergangen ist. Auch die Forderung der Anbieterin nach Wertersatz für erbrachte Leistungen lehnte das Gericht ab, da die Klägerin aufgrund des Fehlens einer Widerrufsbelehrung nicht ausdrücklich um eine vorzeitige Leistungserbringung gebeten hatte.
Verbraucherschutzanwalt Dr. Gerrit W. Hartung äußert sich dazu: „Das noch nicht rechtskräftige Urteil des Kammergerichts Berlin ist ein bedeutender Schritt zur Stärkung der Verbraucherrechte im digitalen Zeitalter. Es macht deutlich, dass Anbieter von hochpreisigen Dienstleistungen nicht nur klare und transparente Vertragsbedingungen gewährleisten müssen, sondern auch die gesetzlichen Vorgaben, insbesondere im Bereich des Fernabsatzrechts, strikt einhalten müssen. Diese Entscheidung könnte richtungsweisend für die gesamte Branche sein, da sie die Pflichten von Dienstleistern gegenüber Verbrauchern und die weitreichenden Folgen einer Missachtung dieser Pflichten klar aufzeigt.“