Arbeitsrecht: Zweifel an der Beweiskraft ausländischer Arbeitsunfähigkeits-bescheinigungen

Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts befasst sich mit den Anforderungen an die Beweiskraft von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Nicht-EU-Ausland.

Arbeitsrecht: Zweifel an der Beweiskraft ausländischer Arbeitsunfähigkeits-bescheinigungen

Im konkreten Fall wurde die Krankmeldung eines Lagerarbeiters während seines Aufenthalts in Tunesien angezweifelt. Das Urteil verdeutlicht die möglichen Konsequenzen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wenn Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer solchen Bescheinigung bestehen. Im Fokus steht die Frage, unter welchen Umständen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtlich anfechtbar ist und welche Maßstäbe bei ihrer Bewertung heranzuziehen sind.

Im vorliegenden Fall aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Az. 5 AZR 284/24) geht es um die Erschütterung des Beweiswerts einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und deren Auswirkungen auf den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger, ein langjähriger Lagerarbeiter, forderte die Vergütung für einen Zeitraum zurück, in dem seine Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Attests eines tunesischen Arztes in Frage gestellt wurde. Das Gericht hat den Fall zum Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, da wesentliche Aspekte der rechtlich erforderlichen Gesamtwürdigung unberücksichtigt blieben.

Die rechtliche Gleichstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Ausland mit denen aus Deutschland spielt in diesem Fall eine entscheidende Rolle. Die von einem tunesischen Arzt ausgestellte Bescheinigung, die dem Kläger für 24 Tage strikte häusliche Ruhe und ein Reiseverbot auferlegte, wurde von der Beklagten infrage gestellt. Besonders bemerkenswert ist, dass der Kläger bereits einen Tag nach Ausstellung des Attests ein Fährticket für die Rückreise nach Deutschland erwarb und die lange Fahrt planmäßig antrat.

„Das Verhalten des Klägers – insbesondere die Buchung und Durchführung der Rückreise trotz des ärztlich bescheinigten Reiseverbots sowie die wiederholte Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen unmittelbar nach Urlaubsaufenthalten – ließ erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Bescheinigung aufkommen“, erklärt der Mönchengladbacher Arbeitsrechtsexperte Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Die Kanzlei ist auf Anleger- und Verbraucherschutz spezialisiert und setzt sich unter anderem für die Rechte von Betroffenen des Abgasskandals ein. Darüber hinaus vertritt sie geschädigte Verbraucher bei Klagen gegen Online-Casinos sowie Mandanten in Kündigungsschutzverfahren und weiteren arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Weitere Informationen unter www.hartung-rechtsanwaelte.de und Anwalt für Arbeitsrecht.

Das Bundesarbeitsgericht betonte, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Nicht-EU-Ausland grundsätzlich denselben Beweisanforderungen unterliegen wie solche, die in Deutschland ausgestellt werden. Allerdings kann der Grundsatz der Gleichwertigkeit eingeschränkt sein, wenn eine Gesamtwürdigung der Umstände erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit begründet. Genau diese Gesamtwürdigung hat das Berufungsgericht in der Vorinstanz versäumt, da es einzelne Aspekte isoliert betrachtete. Dabei blieb unter anderem unberücksichtigt, dass der ausstellende Arzt keine Wiedervorstellung anordnete und das Verhalten des Klägers den Eindruck erweckte, dass die Bescheinigung eher der Sicherung der Entgeltfortzahlung als der Genesung diente.

Das Urteil macht deutlich, dass bei erschüttertem Beweiswert der Kläger die volle Beweislast für seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit trägt, wie der Arbeitsrechtsexperte betont. Dies führt zu einer erheblichen Verschärfung der Anforderungen für Arbeitnehmer, da sie aktiv nachweisen müssen, dass die bescheinigte Erkrankung tatsächlich ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt hat. Der Fall unterstreicht, dass insbesondere bei im Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eine umfassende Würdigung der Umstände erforderlich ist, um einen möglichen Missbrauch des Entgeltfortzahlungsanspruchs zu verhindern.

Dieses Urteil hat weitreichende Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Unternehmen haben die Möglichkeit, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen anzuzweifeln, wenn konkrete Indizien deren Beweiswert erschüttern. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie bei Erkrankungen im Ausland besonders darauf achten müssen, ihre Arbeitsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar zu dokumentieren. Eine durch den Arzt angeordnete Wiedervorstellung sowie eine präzise und strukturierte Diagnostik können dazu beitragen, die Beweiskraft einer Bescheinigung zu stärken und rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

„Das Urteil hebt die Notwendigkeit einer rechtlich fundierten und sorgfältigen Prüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hervor, insbesondere wenn diese außerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurden. Entscheidend ist dabei die ganzheitliche Betrachtung der Umstände sowie das Verhalten des betroffenen Arbeitnehmers, um die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung sicherzustellen“, erklärt Arbeitsrechtsexperte Dr. Gerrit W. Hartung.