VW-Dieselskandal 1.0: Nächstes OLG entscheidet verbraucherfreundlich
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat zum Vierzylinder-Dieselmotor des Typs EA189 (Abgasnorm Euro 5) entschieden, dass sich das Verhalten der beklagten Volkswagen AG als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB darstellt.
Als nächstes Oberlandesgericht hat das OLG Karlsruhe sich im Abgasskandal der Volkswagen AG auf Seiten des geschädigten Verbrauchers positioniert (Az.: 13 U 354/20 zu Landgericht Offenburg, Az: 3 O 455/19). Streitgegenständlich war ein VW Tiguan, bei welchem ein von der Beklagten hergestellter Vierzylinder-Dieselmotor des Typs EA189 (Abgasnorm Euro 5) verbaut ist, und der eine Laufleistung von 5.860 Kilometern hatte, zum Kaufpreis von 34.649 Euro.
Das Gericht stellt heraus: „In den Fahrzeugen des streitigen Typs war – beginnend im Laufe des Jahres 2008 – eine Software zur Steuerung des Motors installiert, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testlauf unter Laborbedingungen oder im normalen Straßenverkehr befindet. Während im Testlauf die Motorsteuerung dergestalt erfolgt, dass mittels einer Abgasrückführung die Abgase zusätzlich gereinigt werden und die Emissionsgrenzwerte entsprechend der genannten Verordnung eingehalten werden (Abgasrückführungsmodus 1), ist im Betriebsmodus des normalen Straßenverkehrs der Abgasrückführungsmodus 0 aktiv, in dem keine oder eine deutlich geringere Abgasrückführung stattfindet.“
Daher hat das Oberlandesgericht Karlsruhe herausgestellt, dass sich das Verhalten der Beklagten als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB darstellt. Der Hintergrund: „Wie dem auf Dieselverfahren spezialisierten Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist, hat die Beklagte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge selbst oder bestimmungsgemäß über zu ihrem Konzern gehörenden Unternehmen in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungs-Software bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.“
„Damit bleibt Dieselgate 1.0, also der Abgasskandal der Volkswagen AG rund um den Dieselmotor EA189, weiterhin im Fokus. Und in vielen Fällen ist die Verjährung auch noch nicht eingetreten, sodass Schadenersatzklagen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB weiterhin möglich sind. Diese Möglichkeit sollten Verbraucher in jedem Falle im Blick behalten. Alternativ sind auch Ansprüche aufgrund der Regelungen aus § 852 BGB. Nach der eindeutigen gesetzgeberischen Intention wird durch diese Regelung ein verjährter Anspruch erhalten, jedoch in seinem Umfang auf dasjenige beschränkt, was der Schuldner durch die unerlaubte Handlung erhalten hat. Das ist einmal mehr die Bestätigung, dass geschädigte Verbraucher sich vor einer möglichen Verjährung keine Sorgen machen sollten. Es bestehen also auch über die Regelungen hinsichtlich der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB hinaus hinreichende Möglichkeiten der Schadenersatzklagen“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung. Die Kanzlei befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich auf die Beratung von Betroffenen des Abgasskandals spezialisiert. Dr. Gerrit W. Hartung gilt als „Dieselanwalt“ der ersten Stunde.
Einmal mehr hat ein Oberlandesgericht auch die sekundäre Darlegungslast der Volkswagen AG herausgestellt. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast müssen Autohersteller sich in Dieselverfahren von den Vorwürfen aktiv und mit weitreichenden Erklärungen zur Funktionsweise der Technologien entlasten. Es sei Sache der Beklagten, das Vorliegen der die unzulässigen Abschalteinrichtung begründeten Umstände substantiiert zu bestreiten. Beim Gericht heißt es: Die Beklagte ist somit der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen, weshalb die Behauptung der Klägerseite, die Installation der Abschalteinrichtung sei mit Wissen und Wollen eines oder mehrerer Mitglieder des Vorstandes oder Repräsentanten der Beklagten erfolgt, als zugestanden gilt.