Schutz auch bei Fristversäumnis: Bundesarbeitsgericht stärkt die Rechte schwangerer Arbeitnehmerinnen im Arbeitsrecht
Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass eine Kündigungsschutzklage wegen Schwangerschaft auch dann noch zulässig ist, wenn die betroffene Person erst nach Ablauf der Klagefrist von ihrer Schwangerschaft erfährt und dies nicht zu vertreten hat. Mit diesem Urteil wird ein klares Zeichen für den Schutz von werdenden Müttern im Arbeitsrecht gesetzt und es werden wichtige Fragen zum Zusammenspiel von Mutterschutz und Verfahrensrecht geklärt.
Mit seiner Entscheidung vom 3. April 2025 hat das Bundesarbeitsgericht die Rechte schwangerer Arbeitnehmerinnen im Falle von Kündigungen gestärkt. Eine Frau hatte gegen ihre Kündigung geklagt, nachdem sie erst nach Erhalt des Kündigungsschreibens von ihrer Schwangerschaft erfuhr und daher die Frist für die Kündigungsschutzklage gemäß § 4 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) versäumte. Das Gericht entschied, dass ihre Klage trotz der Fristversäumnis zulässig war, da sie nicht für die verspätete Einreichung verantwortlich war. Damit wurden die Voraussetzungen für eine nachträgliche Zulassung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG als erfüllt angesehen.
„Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung bereits schwanger, hatte jedoch keine Kenntnis davon. Erst Wochen später führte ein positiver Schwangerschaftstest zu der Vermutung, die durch eine frauenärztliche Untersuchung am 17. Juni 2022 bestätigt wurde. Bereits am 13. Juni 2022 reichte die Klägerin Klage ein und beantragte gleichzeitig deren nachträgliche Zulassung. Dass sie den Nachweis der Schwangerschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt erbringen konnte, war aufgrund des medizinischen Ablaufs nachvollziehbar. Der voraussichtliche Geburtstermin wurde rückwirkend auf den 2. Februar 2023 festgelegt, was den Beginn der Schwangerschaft auf Ende April 2022 datiert – also vor dem Zugang der Kündigung“, erklärt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (www.hartung-rechtsanwaelte.de). Die Kanzlei ist auf Anleger- und Verbraucherschutzrecht spezialisiert und berät unter anderem Betroffene des Abgasskandals. Sie hat sich zudem auf die Durchsetzung von Ansprüchen geschädigter Verbraucher gegen Online-Casinos sowie die Vertretung von Klienten in Kündigungsschutzklagen und anderen arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen konzentriert.
Aus Sicht des Gerichts war entscheidend, dass der Klägerin kein schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden konnte. Ein positiver Schwangerschaftstest allein wurde nicht als ausreichender Nachweis für die Kenntnis über eine bestehende Schwangerschaft anerkannt. Vielmehr kam es auf die frauenärztliche Bestätigung an. Diese konnte die Klägerin so schnell wie medizinisch möglich erhalten, nachdem sie unmittelbar nach dem positiven Test einen Termin vereinbarte.
Das Urteil stärkt nicht nur den Mutterschutz im konkreten Fall, sondern berücksichtigt auch den europäischen rechtlichen Rahmen. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts bestätigte, dass das Zusammenspiel von § 4, § 5 KSchG und § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG) mit den Anforderungen der EU-Richtlinie 92/85/EWG übereinstimmt. Diese Bestimmungen dienen dem besonderen Schutz werdender Mütter und gewährleisten, dass der Kündigungsschutz nicht durch formale Fristversäumnisse gefährdet wird, sofern die betroffene Person die Verzögerung nicht zu vertreten hat.
„Mit dieser Entscheidung wird auch für zukünftige Fälle, in denen schwangere Arbeitnehmerinnen erst später von ihrer Schwangerschaft erfahren, Rechtssicherheit geschaffen. Sie unterstreicht, dass der Mutterschutz nicht an strengen Formalien scheitern darf, wenn die betroffene Frau ohne eigenes Verschulden keine frühere Kenntnis erlangen konnte. Arbeitgeber können sich nicht auf die Versäumung der Dreiwochenfrist berufen, wenn die Kündigung in Unkenntnis der Schwangerschaft ausgesprochen wurde und diese erst später medizinisch festgestellt wird“, betont Arbeitsrechtsexperte Dr. Gerrit W. Hartung. Weiter erklärt er: „Das Urteil zeigt, dass das deutsche Arbeitsrecht die soziale Schutzfunktion des Mutterschutzes ernst nimmt und verfahrensrechtlich sicherstellt, dass dieser Schutz auch dann greift, wenn eine rechtzeitige Klage zunächst nicht möglich war. Für Arbeitnehmerinnen in vergleichbaren Situationen sendet es ein wichtiges Signal, dass sie ihre Rechte auch dann geltend machen können, wenn sie nicht sofort von der Schwangerschaft wissen.“