Rürup-Rente widerrufen: Rückabwicklung auch Jahre später möglich

Bei Rürup-Renten können fehlerhafte Widerrufsbelehrungen noch heute den Weg zum Ausstieg eröffnen.

Rürup-Rente widerrufen: Rückabwicklung auch Jahre später möglich

Gerade bei Verträgen, die bereits vor vielen Jahren abgeschlossen und beitragsfrei gestellt wurden, gestatten wichtige Urteile des Bundesgerichtshofes und obergerichtliche Entscheidungen eine Rückabwicklung.

Die Rürup‑Rente, oft auch als Basisrente bezeichnet, wurde im Jahr 2005 als Vertragsmodell mit Steuervergünstigungen, aber ohne Kündigungsmöglichkeiten eingeführt. Später war sie unter Fachleuten und Verbraucherschützern weitgehend untrennbar mit dem Risiko verbunden, dass Verträge kaum frühzeitig auflösbar sind. Doch seit dem Herbst 2023 haben mehrere höchstrichterliche Urteile deutlich gemacht, dass fehlerhafte Widerrufsbelehrungen bei vielen Verträgen die reguläre 30‑Tagesfrist nicht in Gang gesetzt haben. In diesen Fällen kann der Widerruf auch heute noch rechtlich wirksam sein, und der Verbraucher erhält nicht nur seine Beiträge, sondern auch gezogene Nutzungen oder Abschlusskosten zurück. Diese Entwicklungen eröffnen einen weitgehend vaterlosen Ausweg aus der Rürup‑Rente.

BGH‑Entscheidungen und OLG‑Rechtsprechung

Im Oktober 2023 bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH, Az. IV ZR 41/22), dass der Widerruf eines 2009 bei der Allianz abgeschlossenen Basisrentenvertrags auch im Jahr 2020 noch wirksam gewesen sei. Der Hintergrund: Der Versicherer hatte nicht ordnungsgemäß über den Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen informiert. Dies führte zur Rückabwicklung und brachte dem Kläger rund 81.500 Euro ein. Ebenso wurde knapp drei Monate später (BGH, Az. IV ZR 306/22, vom 24. Januar 2024) ein Generali‑Basisrentenvertrag aus dem Jahr 2008 für widerrufbar erklärt, weil die Widerrufsbelehrung ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen genügte. Der BGH hob die Vorentscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) auf und verwies den Fall zurück zur weiteren Prüfung des Verwirkungseinwands, stellte aber die grundsätzliche Fehlerhaftigkeit fest.

Das OLG Köln bestätigte im Mai 2023 für die HDI Lebensversicherung, dass die Widerrufsbelehrung unzureichend gestaltet war, unter anderem durch fehlende Hervorhebung und Platzierung im Anhang. Auch hier sei deshalb die 30‑Tage‑Frist nie wirksam in Gang gesetzt worden. Bereits 2019 hatte das OLG Karlsruhe die Nürnberger Lebensversicherung zur Rückabwicklung eines 2007 abgeschlossenen Rürup‑Vertrags verurteilt, weil wesentliche Verbraucherinformationen, wie etwa die Mitgliedschaft in einem Sicherungsfonds, in der Widerrufsbelehrung fehlten. Ganz aktuell entschied im Juli 2025 das OLG Nürnberg, dass trotz einer formell korrekten Belehrung der Vertrag aus dem Jahr 2009 widerrufen werden kann: Ein Hinweis auf die Herausgabe gezogener Nutzungen habe gefehlt, und das Vertrauen der Versicherung gegenüber dem Kläger in 15 Jahren war nicht so schutzwürdig, dass der Widerruf verwirkt wäre. Das Gericht beziffert den Rückzahlungsanspruch auf rund 26.000 Euro.

Im Kern: Was bedeutet tatsächlicher Widerruf einer Rürup‑Rente

Der Widerruf löscht den Vertrag so, als wäre er nie zustande gekommen. In der Praxis bedeutet dies: Beiträge, Abschluss- und Vertriebskosten sowie – je nach Vertragsmodell – erzielte Fondserträge oder Zinsen müssen erstattet werden. Ein möglicher Einwand der Versicherung, der Verbraucherschutz sei durch Zusatzzahlungen oder Steuerersparnis verwirkt, wurde in den zitierten Urteilen meist abgelehnt. Wichtig dabei: Eine Kündigung oder Beitragsfreistellung eines Rürup‑Vertrags führt nicht zu einer Auszahlung des eingezahlten Kapitals, anders als beim Widerruf, der die finanzielle Grundlage für die Rückabwicklung bietet.

Welche Verträge haben besonders gute Aussichten auf Widerruf? Besonders vielversprechend sind Rürup‑Verträge, die in den Jahren 2005 bis 2010 geschlossen wurden. In der Zeit von 2005 bis 2007 (Policen‑oder Antragsmodell ohne klar gestaltete Widerrufsbelehrung) wurden vielfach Belehrungsmängel festgestellt, die den Fristbeginn verhindern. Zwischen 2008 und 2010 galt eine einheitlich verpflichtende 30‑Tage‑Frist, doch viele Versicherer verwendeten Belehrungen, die nicht den neuen Anforderungen entsprachen, denn Format, Rechtsfolgen oder Nutzungsanspruch wurden oft ungenügend dargestellt. Auch nach Beginn der Muster‑Widerrufsbelehrung im Juni 2010 wurden noch zahlreiche fehlerhafte Versionen eingesetzt – etwa weil individuelle Änderungen an Mustervorgaben vorgenommen wurden, die rechtlich nicht zulässig waren. Zudem zeigen Entscheidungen wie das OLG Nürnberg 2025, dass selbst gut 15 Jahre alte Verträge nicht unbedingt verwirkt sind. Geringere Erfolgsaussichten bestehen nach 2012, doch auch hier können individuelle Belehrungsfehler weiterhin Widerrufsmöglichkeiten eröffnen.

So läuft der Widerruf praktisch ab

Für viele Nutzer der Rürup‑Rente ist der Widerruf die einzige realistische Option, das angesparte Kapital zurückzuerlangen. Während steuerliche Vorteile in der Ansparphase meist feststehen, kann die spätere Rentenbesteuerung bei Rentenbeginn über dem Steuerfreibetrag liegen, insbesondere nach 2040, wodurch der Nettoertrag sinkt. Hohe Abschluss‑ und Verwaltungsgebühren schmälern ohnehin die Rendite. Daher kann sich der Widerruf auch ohne zusätzliche Rendite auf Dauer deutlich positiv auswirken – gerade wenn beigefügte Nutzungen und Kosten ausgeglichen werden. Rechtlich prüfen lassen sollten Versicherungsnehmer den Vertrag, wenn sie eine Rürup‑Rente abgeschlossen haben, die noch beitragspflichtig oder beitragsfrei gestellt ist, insbesondere wenn sie auf einmalige Auszahlungsmöglichkeiten gehofft hatten.

Zunächst gilt es, den Vertrag genau zu juristisch zu bewerten: Zentrale Frage ist, ob die Widerrufsbelehrung klar, deutlich, vollständig sowie rechtsfolgelogisch korrekt war. Weist sie Mängel auf – etwa fehlende Hervorhebung, unklare Fristen oder das Weglassen des Nutzungsanspruchs – ist der Widerruf möglich. Anschließend wird – vorzugsweise elektronisch bestätigt per Einschreiben – der Widerruf an die Versicherung gesendet. In weiteren Schritten kann die Rückabwicklung durch die Versicherung erfolgen; scheitert sie, helfen spezialisierte Anwälte, eine Klage einzureichen und eine gerichtliche Entscheidung zu erreichen. Zu beachten ist auch: Steuerliche Rückzahlungen (zum Beispiel der in Anspruch genommenen Steuererstattung für Beiträge) und gegebenenfalls Verzugszinsen sind möglich; dies mindert den Nettobetrag allerdings oft nicht so stark wie eine vollständige Vertragsfortführung. Zudem ergibt sich daraus die Empfehlung, möglichst frühzeitig eine individuelle steuerliche Beratung hinzuzuziehen.

Ausblick: Wie die Rechtsprechung weiterhin die Verbraucher stärkt

Die aktuelle Judikatur des BGH samt den OLG-Entscheidungen signalisiert eine konsequente Stärkung des Verbraucherschutzes im Versicherungsrecht, insbesondere gegenüber komplexen Produkten wie der Rürup‑Rente. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Muster-Widerrufsbelehrung zwar versucht, Rechtssicherheit herzustellen, doch Praxis zeigt: Die Mehrheit der Anbieter hat diese Vorgaben nicht fehlerfrei umgesetzt. Die Gerichte setzen deshalb konsequent auf den Schutz der Verbraucher, auch bei langen Vertragszeiten. Wichtig ist: Die Durchsetzung dieser Rechte muss aktiv passieren, denn der Widerruf ist keine automatisch wirksame Option!

Das bedeutet: Besitzer einer Rürup‑Rente sollten in keinem Fall auf die Möglichkeit eines Widerrufs verzichten, der auch heute noch möglich sein kann. Die Zeiträume zwischen 2005 und 2010 sind besonders erfolgsversprechend – aber auch danach abgeschlossene Verträge können aufgrund formaler Mängel widerrufen werden. Entscheidend ist die Analyse der Widerrufsbelehrung: Fehlen verbindliche Hinweise auf Nutzungsansprüche oder rechtliche Konsequenzen, steht das Widerrufsrecht weiter offen. Der Widerruf kann also mehr als nur ein Ausweg sein, sondern ein instrumenteller Weg, um finanzielle Nachteile der Rürup-Rente langfristig zu kompensieren.