Mercedes-Abgasskandal: Wieder ein obsiegendes Urteil zum OM651 beim Landgericht Stuttgart
Das Landgericht Stuttgart hat die Daimler AG wieder einmal wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB beim Dieselmotor OM651 mit Euro 6-Abgasnorm verurteilt. Streitgegenständlich ist eine illegale Abschalteinrichtung im Form der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung.
Die Daimler AG kommt mit seiner Kernmarke Mercedes-Benz nicht aus den Schlagzeilen im Dieselabgasskandal heraus. Jetzt hat das Landgericht Stuttgart (Az.: 46 O 94/20) den Autohersteller zu Schadenersatz und Rücknahme eines Mercedes-Benz V 250 mit einem Dieselmotor des Typs OM651 und der Abgasnorm Euro 6 verurteilt. Die Daimler AG muss an den geschädigten Verbraucher das am 1. Dezember 2017 mit einer Laufleistung von 8654 Kilometern gekaufte und über die Mercedes-Benz Bank finanzierte Fahrzeug 8621,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 11. August 2020 zahlen, 70 Prozent der Kosten des Rechtsstreits tragen und den Kläger von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der Mercedes-Benz Bank in Höhe von 57.590,40 Euro freistellen. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Anfang Januar 2021 wies das Fahrzeug 53.289 Kilometer auf.
„Streitgegenständlich ist eine illegale Abschalteinrichtung im Form der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung. Dadurch wird bekanntlich die Abgasreinigung im Prüfbetrieb heruntergeregelt, um während des Prüfzyklus die Grenzwerte einzuhalten. Wegen der Kühlmittel-Soll-Temperaturregelung unterliegen bereits viele Fahrzeuge der Daimler AG offiziellen Rückrufen des Kraftfahrt-Bundesamts. Dazu gehört auch das streitgegenständliche Fahrzeug. Die Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung der Daimler AG ist bei den betroffenen Mercedes-Benz-Fahrzeugen nur im Prüfstand aktiviert. Dabei sorgt sie dafür, dass der gesamte Kühlmittelkreislauf kälter bleibt und somit die Temperatur des Motoröls nur langsam ansteigt. Daraus resultiert der Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung wird vom Gericht dezidiert als unzulässige Abschalteinrichtung bezeichnet“,
sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (www.hartung-rechtsanwaelte.de). Die Kanzlei befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich auf die Beratung von Betroffenen des Abgasskandals spezialisiert. Dr. Gerrit W. Hartung gilt als „Dieselanwalt“ der ersten Stunde.
Abschalteinrichtungen wie Thermofenster bei der Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen oder eben auch Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelungen sind grundsätzlich unzulässig. Das hat die EU-Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihrem Schlussantrag zu einem vielbeachteten Verfahren am Europäischen Gerichtshof EuGH klargemacht. Entscheidend bei dem EuGH-Verfahren ist die Aussage, dass auch temperaturabhängige Abgaskontrollsysteme unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen.
Interessant laut Dieselexperte Dr. Gerrit W. Hartung ist die Bewertung des Gerichts, weshalb die Daimler AG den Vortrag des Klägers zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung gar nicht bestritten habe. Das Gericht geht hierbei davon aus, dass die Beklagte angesichts hunderter Verfahren mit dem identischem Vortrag zur Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung sehr genau darauf achtet, was bestritten wird und was nicht. Die Beklagte wiederholt mehrfach die Aussage, in ihren Fahrzeugen sei – im Gegensatz zu den Modellen der Volkswagen AG – keine sogenannte Kippschalterlogik verbaut sei. Das ist ein Mechanismus zur unmittelbaren Erkennung des Neuen Europäischen Fahrzyklus. Das hat der Kläger auch gar nicht behauptet. Die Daimler AG will sich also mit etwas verteidigen, das gar nicht in Frage steht beziehungsweise kritisiert wird. Offensichtlich gehen dem Hersteller die Argumente vor Gericht aus – und das Landgericht Stuttgart lässt sich auf solche fadenscheinigen Begründungen auch gar nicht ein. Geschädigte Verbraucher haben also weitreichende Chancen, von der Daimler AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Wege der Betrugshaftungsklage Schadensersatz zu erhalten und das Skandalfahrzeug abzugeben.“
Rund um den OM651 hat das Landgericht Ravensburg zuletzt für größere Diskussionen gesorgt. Das Gericht hat ein Dieselverfahren gegen die Daimler AG ausgesetzt und Fragen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet. Der Paukenschlag im Dieselabgasskandal ist der mögliche Anspruch des geschädigten Verbrauchers aus § 823 Abs. 2 BGB. Damit wäre Sittenwidrigkeit dabei nicht vorausgesetzt, sondern es würde für die geschädigten Dieselkäufer einfache Fahrlässigkeit genügen, um Schadenersatzansprüche geltend zu machen. „Sollte sich diese Auffassung durchsetzen und damit auch bloße Fahrlässigkeit bei Verletzung eines Verbotsgesetzes mit Drittschutz ausreichen, wäre es der absolute Turning Point im gesamten Dieselabgasskandal. Dann könnten Geschädigte im Dieselskandal die Autohersteller wesentlich leichter für den verursachten wirtschaftlichen Schaden haftbar machen und Schadenersatz erhalten“, betont Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.