Annahmeverzug bei unwirksamer fristloser Kündigung
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist.
Bekanntlich existiert im Arbeitsrecht die Möglichkeit, fristlos zu kündigen. Das kommt dann in Betracht, wenn eine Arbeitsvertragspartei einen so schweren Verstoß begangen hat, dass der anderen Vertragspartei ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis selbst bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Wenn der Mitarbeiter seine vertraglichen Pflichten maßgeblich verletzt hat, ist keine Abmahnung vor der Kündigung nötig. Die Gründe für eine fristlose Regelung sind eng geregelt. Denkbar ist beispielsweise eine grobe ehrverletzende Beleidigung, und auch Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen sind typische Gründe.
Jetzt hat sich das Bundesarbeitsgericht mit (Urteil vom 29. März 2023, Az.: 5 AZR 255/22 zu Vorinstanz: Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 1. November 2021, Az.: 1 Sa 330/20) mit einem speziellen Aspekt der fristlosen Kündigung befasst, nämlich in Kombination mit dem Sachverhalt des Annahmeverzugs im Arbeitsrecht. Unter Annahmeverzug im Arbeitsrecht versteht man eine Situation, in der der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbietet, diese jedoch vom Arbeitgeber unter Verstoß gegen die rechtlich bestehende Pflicht zur Entgegennahme zurückgewiesen wird. Das Problem: Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich.
„In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.
Der Hintergrund: Der Kläger war seit dem 16. August 2018 bei der Beklagten als technischer Leiter beschäftigt und hat 5.250 Euro brutto monatlich verdient. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 sprach die Beklagte eine fristlose Änderungskündigung aus, mit der sie dem Kläger einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine auf 3.750 Euro brutto monatlich verminderte Vergütung anbot. Nachdem die Beklagte für den Monat Dezember 2019 nur noch eine Vergütung von 765,14 Euro brutto zahlte und der Kläger erst zum 1. April 2020 ein neues Arbeitsverhältnis begründen konnte, hat er Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs erhoben, mit der er die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt der neuen Beschäftigung verlangt, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung.
„Dagegen klagte der gekündigte Mitarbeiter zunächst erfolglos vor dem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht. Die Vorinstanz hatte angenommen, der Kläger habe trotz der unwirksamen Kündigungen der Beklagten keinen Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung, weil er das Angebot der Beklagten, während des Kündigungsschutzprozesses bei ihr weiterzuarbeiten, nicht angenommen habe. Das hat Bundesarbeitsgericht verneint. Die Beklagte befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte. Weil die Beklagte selbst davon ausging, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten, spricht wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitete“, führt Dr. Gerrit W. Hartung aus. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Der Experte für Arbeitsrecht betont daher, dass betroffene Mitarbeitende in diesen Fällen den Rat eines Anwalts einholen sollten.